Presse

zurück

Zu „Der Selbstmörder“:

"Der Selbstmörder" begeisterte in der Siegburger Studiobühne

SIEGBURG. Die Premiere von Nikolaj R. Erdmanns „Der Selbstmörder“ begeistert in der Siegburger Studiobühne. Die Satire war in Russland einst verboten.

Der arbeitslose Kleinbürger Semjon Podsekalnikow ist hungrig nach Leberwurst. Er schleicht nachts in die Küche, um sich zu bedienen. Seine Frau Mascha überrascht ihren Mann und verdächtigt ihn, Selbstmord verüben zu wollen. Die Leberwurst, die er sich gerade in den Mund stecken will, hält sie für einen Revolver. Damit nimmt eine aberwitzige Geschichte ihren Lauf – zu sehen in dem satirischen Stück „Der Selbstmörder“ des russischen Dichters Nikolaj Robertowitsch Erdmann, das in der Siegburger Studiobühne umjubelte Premiere feierte.

Plötzlich tauchen Leute auf, die Semjons Selbstmord für sich instrumentalisieren wollen. Der findet bald Gefallen an dieser immer größer werdenden Aufmerksamkeit an seiner Person beziehungsweise seinem baldigen Tod. Er sieht sich schon in der Rolle als Märtyrer, als Held. Jeder will von der Leiche profitieren, die Intelligenz, die Kommunisten, die Religion, eitle Frauen. Für sie alle soll Semjon sich erschießen. Abschiedsbriefe werden verfasst und wie Lotterielose gehandelt, während Semjon mit dem Revolver hadert. Wie schießt man richtig und wirksam? Wie beendet man etwas, das einem lieb ist? Und warum eigentlich? Problematisch für Semjon wird nun, dass sein Leben in der Heldenrolle immer schöner und endlich wieder lebenswert wird. Er will nicht mehr sterben, hat wieder Mut bekommen, hängt am Leben, kann über den Tod aber auch nichts sagen, weil ihm da „die Erfahrung fehlt“.

Sprachwitz und Situationskomik

Inszeniert wird „Der Selbstmörder“ von der Berliner Gastregisseurin Evy Schubert, die das Stück in rund fünf intensiven Wochen mit Schülern der Schauspielschule Siegburg einstudiert hat. Herausgekommen ist eine atemberaubend schnelle und turbulente Abfolge schräger und absurder Szenen mit viel Sprachwitz, Situationskomik und umwerfend komischen Slapstickeinlagen. Schubert hat sich an die Vorlage gehalten, wenngleich sie die um etwa eine Stunde gekürzt hat. Erdmanns Stück, das er 1928 schrieb, hat ihm selbst Repressalien im sowjetischen Russland eingebracht. Nicht zuletzt aufgrund von Sätzen wie diesem: „Früher hatten die Leute eine Idee und wollten dafür sterben. Heute haben die Menschen, die sterben wollen, keine Idee, und die Menschen, die eine Idee haben, wollen nicht sterben. Dagegen muss man kämpfen, mehr als je zuvor brauchen wir ideologische Leichen.“ Erst 30 Jahre nach Veröffentlichung kam es zur Uraufführung.

Die Akteure Lukas Maurer, Marie Illies, Vanessa Stoll, Friederike Baldin, Jan Meier, Reyniel Ostermann und Lioba Pinn sprühten vor Spiellaune, übertrafen sich gegenseitig in der Kunst der Mimik und Gestik, bei der sie wirklich alle Register zogen. Perfekt abgestimmt auf die surreal anmutende Handlung waren die Kostüme, die den Eindruck erweckten, als sei das Ensemble aus der Psychiatrie entlaufen. Eine großartige Leistung aller Beteiligten, die angelehnt an einen Werbeslogan das Prädikat verdient: „So muss Theater“.

, Paul Kieras, General-Anzeiger Bonn am
zurück