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Von der Flüchtlingsunterkunft auf die Theaterbühne
SIEGBURG. Das aufwühlende Stück „Odyssee – 4 Mal Leben“ schildert die Schicksale Flüchtender. Zwei Darsteller mussten selbst ihre Heimat verlassen.
Mohammed (20) reckt die Faust in die Luft, sein Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Jaskot Hockem al Askar“ schreit er, was so viel heißt wie „Schluss mit dem Militärregime“. Immer und immer wieder, immer lauter, immer zorniger: „Jaskot Hockem al Askar“. Im Hintergrund sind Bilder vom Al-Nahdha-Platz in Kairo zu sehen, wo das ägyptische Militär am 13. August 2013 mit äußerster Brutalität gegen Demonstranten vorgeht. Tote liegen verstreut auf dem Platz, Soldaten knüppeln wehrlose Menschen zusammen, springen auf dem Boden Liegenden auf den Kopf. Der Anblick ist grauenhaft, die Spannung kaum zu ertragen. „Jaskot Hockem!“. Dann fällt ein Schuss, ein junger Mann sinkt unmittelbar neben Mohammed tot zu Boden. Es ist sein bester Freund. Was da in der Studiobühne passiert, ist zwar „nur“ Theater, wühlt das Publikum aber aufgrund der Intensität dermaßen auf, dass einige Zuschauer die Tränen nicht zurückhalten können. Mohammed, der mit seiner Familie als Flüchtling in der Erstaufnahme Am Neuenhof lebt, spielt sich selbst, wurde damals ebenfalls von einer Kugel getroffen, aber zum Glück nur leicht verletzt. Er erzählt seine Erlebnisse während der Revolutionsjahre ab 2011 in Ägypten und über die Gründe seiner Flucht. Genauso wie Sara Al Halabi (19) aus Syrien, die dem Krieg in ihrer Heimat entkommen konnte. Zusammen mit Marana Hartock und Marian Hentschel, Absolventen der Schauspielschule Siegburg, und Regisseur Bardia Rousta haben sie in den vergangenen vier Monaten ein Dokumentar-Theaterstück in Arabisch und Deutsch unter dem Titel „Odyssee – 4 Mal leben“ erarbeitet. Dabei übernehmen alle Darsteller die Rolle des Erzählers, des Übersetzers und auch die des Protagonisten für die Erzählung der Lebensgeschichte des anderen. Begleitet von dokumentarischen Filmaufnahmen erlebt der Zuschauer eine Reise durch vier Biographien, die unterschiedlicher und doch gleicher nicht sein könnten.
Die jungen Leute hatten nämlich alle eine unbeschwerte Kindheit, Träume, Hoffnungen und Wünsche. Marian wollte beispielsweise „ein cooler Ritter werden“, Marana Balletttänzerin oder Tierärztin, Sara hat als Kind gerne aus Blumen und Wasser Parfum gemixt. „Meine Träume zerbrachen, als das Land zerbrach. Das Leben in Syrien war wie auf einem Friedhof“, berichtet die junge Frau, die mit ihrer gesamten Familie aus Damaskus zunächst in die Türkei, dann nach Deutschland floh und mittlerweile in Siegburg untergekommen ist. Der durch Mark und Bein gehende Heulton einer Sirene ist zu hören, Sara und ihre Eltern werfen sich bei einem Bombenangriff zu Boden, auf der Leinwand der Bühnenrückwand flimmern Bilder aus dem zerstörten Damaskus und Aleppo.
Während Sara von ihren Todesängsten, von Folter, Mord und Bombardierung des Assad-Regimes, dem Tod ihrer Schulfreunde, der Flucht über das Meer und das Auseinanderreißen der Familie berichtet, zeigt der Regisseur Filmsequenzen von meterhohen Stacheldrahtzäunen mitten in Europa und davon, wie Menschen mit Schlagstöcken an europäischen Grenzen zurückgetrieben werden. Gesteigert wird das Gefühl von Wut und Scham beim Publikum noch einmal bei Aufnahmen von Pegida-Aufmärschen und AfD-Kundgebungen.
„Das Stück soll verdeutlichen, dass es nur ein Glücksfall ist, wo du geboren bist“, erklärt Bardia Rousta. Zu Recht gab es zum Schluss Standing Ovations für Sara und Mohammed, die erstmals in ihrem Leben Theater gespielt haben, und für ihre kongenialen Partner von einem Publikum, das von der emotionalen Achterbahnfahrt sichtlich gezeichnet war. Das bewegende Theatererlebnis hatte jeden mitten ins Herz getroffen.
„Odyssee – 4 Mal Leben“: Nächste Aufführung am Samstag, 4. Juni, 20 Uhr, Studiobühne Siegburg, Humperdinckstraße 27. Infos und Karten unter www.theaterseite.de