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Dornröschen kann auch ohne Prinz glücklich werden
Siegburg · Ein Happy End ohne Prinz? Geht, meinen die Regisseurinnen Julie Fees und Vanessa Stoll. Sie schrieben das Märchen vom Dornröschen um zu einem Familienevent mit kritischen Untertönen. 18 Vorstellungen gibt es im Johannesgarten an der Abtei auf dem Siegburger Michaelsberg.
Das Sterntalermädchen sammelte seine Sterne noch in der Studiobühne an der Humperdinckstraße zusammen. Frau Holle schüttelte ihren Schnee bereits außerhalb der Theaterschule, in der Aula des Gymnasiums Alleestraße, über das Land. Hänsel und Gretel irrten gleich zwei Spielzeiten lang mit einem Bläserquintett hilfesuchend durch den Kaldauer Wald. Nun wird Dornröschen auf den Klostermauern der Siegburger Abteikirche auf dem Michaelsberg in ihren hundertjährigen Schlaf fallen.
Die „wandernde Märchenbühne“ der Siegburger Schauspielschule ist ein echtes Erfolgsprinzip. Die steigenden Sitzplatz-Anfragen sind keine Zauberei. Geschuldet sind sie zu einem großen Teil den kreativen Angeboten der Siegburger Schauspielschule, die nach Open-Air-Angeboten außerhalb der Übergangsräumlichkeiten im Turmcenter auf dem Deichhaus suchte. Zum anderen gehören die fantasievollen Märcheninszenierungen für die zukünftigen Schauspieler in den Lehrplan des ersten Ausbildungsjahres und würdigen damit das mehr als 200-jährige Bestehen der Sammlung der Brüder Grimm.
Das klassische Märchen wird hier jedoch immer mit zeitgenössischen Bezügen inszeniert. „Erwachsene können sich in unseren Inszenierungen genauso wiederfinden, wie die Kinder“, sagte Regisseurin Julie Fees, die zusammen mit Vanessa Stoll das Drehbuch zu einer modernen Inszenierung geschrieben hat. Die stellten das alte Märchen gehörig auf den Kopf. Geblieben ist der Fluch einer nicht eingeladenen Gästin. Es ist die Fee des Fleißes (Anika Viktoria Fiedler), deren Anwesenheit nicht erwünscht war, weil ihre Tugend nicht als königlich betrachtet wurde. So wird die Tugend zum Fluch und das Gastgeschenk, eine hölzerne Spindel, zur Lebensgefahr für das Königskind Rosalie (Eina Welsch).
Zauberhafte Spielkunst
Was nun folgt, ist zauberhafte Spielkunst mit nachdenklicher Kritik an überkommenen Rollenbildern. „Wir fragten uns in unserer Bearbeitung, welche Rolle nun als gut und welche Rolle als böse gewertet werden kann“, sagte Fees. Der Fluch lässt schließlich die Herrscherin über das Märchenreich alle Spindeln ihres Landes verbrennen, sodass ihr Volk keine Bekleidung mehr herstellen kann. Jennifer C. Schmidt stellt hier eine zwiespältige Königin dar, die aus Angst um ihre Tochter Verbote ausspricht, die ein ganzes Volk belasten.
Auch nach mehr als zweihundert Jahren Grimm´scher Märchen haben die Geschichten noch immer einen sicheren Platz in den Kinderzimmern. Sie sind in der Lage, ihre Zuhörer in Faszination und Verzückung, Angst und Verzweiflung zu versetzen und damit ganze Säle und Plätze zu füllen. Für die jungen Siegburger Schauspielerinnen bietet die Bearbeitung des historischen Märchenstoffs die erste Gelegenheit, vor größerem Publikum zu spielen und den Johannesgarten mit seiner traumhaften Kulisse über den Dächern der Stadt als nur selten genutzte Bühne erfahrbar zu machen. Und wo soll die nächste Märcheninszenierung nach der Open-Air-Spielzeit hingehen? „Im Winter planen wir, Dornröschen im ehemaligen Kaufhof-Gebäude aufzuführen.“
Öffentliche Kulissen sind gefragt
René Böttcher ist als Schauspieler und Theaterleiter immer auf der Suche nach neuen Bühnen und Spielorten. „In der Corona-Zeit war das noch aus der Not geboren“, sagte Böttcher, der mit seinen Inszenierungen in seinem Siegburger Umfeld auf Spielstätten-Schau ging und dann die Option von Open-Air-Inszenierungen als Chancen auch nach der Corona-Zeit begriff und nutzte. „Öffentliche Kulissen wie der Johannesgarten sind sehr gefragt“, sagte Claudia Böttcher, die unter den insgesamt 18 geplanten Dornröschen-Aufführungen bereits zwei ausverkaufte Nachmittage verbuchen kann. Familien sind hier die Zielgruppe der Inszenierung, die bewusst ohne Altersbegrenzung plant. Und weil die Märchen-Inszenierungen Theater für alle Altersklassen bieten wollen, haben die beiden Regisseurinnen bewusst den Text so geschrieben, „dass Erwachsene andere Untertöne hören können, als es die Kinder im Publikum tun“. Als Theaterpädagoginnen und Schauspielerinnen arbeiten Fees und Stoll zusammen mit Regieassistentin Janina Bilinski seit ein paar Wochen an der Inszenierung.
Neben Dornröschen Eina Welsch gibt es Rollen für zwei Hofdamen, sechs Feen, eine Spielfrau und eine Königin. Rätselhaft ist es dabei, wie Dornröschen und das ganze Königreich aus dem hundertjährigen Schlaf befreit werden sollen. Die Prinzenrolle wurde nämlich nicht besetzt. Über das Warum darf man bis zuletzt grübeln und dennoch auf ein Happy End ohne Prinz hoffen. Das sei unbedingt möglich, verrieten die Regisseurinnen, die die Rollenvergabe durchaus emanzipiert gestalteten. Stoll: „Wer will schon einen ungefragten Kuss?“